Andy Schmid der Superstar

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Er gilt als einer der besten Handballspieler der Welt. Journalisten, Kollegen, Trainer und sogar Gegner überschlagen sich mit Lob für den 33-jährigen Andy Schmid. In der deutschen Bundesliga, die als stärkste Liga der Welt gilt, wurde der gebürtige Horgener dreimal in Folge zum wertvollsten Spieler gekürt. Nun spielt er mit der Schweiz gegen Europameister Deutschland.

Die Coopzeitung traf ihn zum Interview

Lubomir Vranjes, der schwedische Ex-Welt- und Europameister und heutige Trainer vom Bundesligisten Flensburg, bezeichnet Sie als den besten Spieler der Welt …
Es ist zwar schön, ein solches Lob von einem ehemaligen Weltklassespieler zu hören, doch ich weiss es richtig einzuschätzen. Ich bin wohl unter den Top 10 oder Top 20, sonst wäre ich nicht dreimal hintereinander zum wertvollsten Spieler in der stärksten Liga der Welt gewählt worden. Aber es gibt andere, die ich höher einschätze.

Weshalb so bescheiden?
Als Schweizer bin ich von Grund auf demütig. Das haben wir in unseren Genen. Ausserdem gibt es komplettere Spieler. Ich komme nur selten in der Abwehr zum Einsatz und konnte noch nie einer EM oder WM den Stempel aufdrücken, da die Schweiz nur selten dabei ist.

Was bedeutet Ihnen der 5. November 2016?
Für den Handball, der in der Schweiz nicht den Stellenwert hat, den wir uns wünschen, ist es ein wichtiger Tag. Wir haben mit der Schweiz gegen Deutschland zwar nur Aussenseiterchancen, können unseren Sport aber mit einer guten Leistung gegen einen hochkarätigen Gegner ins Gespräch bringen.

Sind Sie vor dem Vergleich mit den Bundesliga-Kollegen nervös?
Nervös bin ich selten. Sicher, es ist speziell, einmal mit der Nationalmannschaft gegen die Jungs anzutreten, die ich von den Rhein-Neckar Löwen seit Jahren als Teamkollegen oder Gegner kenne. In erster Linie ist es jedoch eine Gelegenheit für die jungen Schweizer Talente, sich mit dem Titelverteidiger zu messen, um herauszufinden, was schon möglich ist und wo es noch fehlt, wenn wir uns wieder einmal für ein grosses Turnier qualifizieren wollen.

Sie gelten als ehrgeizig und selbstkritisch. Es soll Sie richtig belastet haben, dass den Löwen der Meistertitel 2014 am letzten Spieltag noch entrissen wurde. 
Wir gewannen damals mit 5 Toren Differenz, Dauerrivale Kiel mit 14 Toren – am Ende fehlten uns zwei Tore zum Titel. Das war der schlimmste Tag meiner Karriere, als hätte ich die ersehnte Meisterschale schon in den Händen gehabt und jemand hätte sie mir einfach weggenommen. Aber vielleicht hatte diese Erfahrung auch ihr Gutes …

Was denn?
Sie hat eine tiefe Narbe hinterlassen, die mich bis heute begleitet und wohl Auslöser meiner Besessenheit war, die Schale irgendwann doch noch zu holen. Wenn es uns diesen Frühling nicht gelungen wäre, könnte ich nicht so locker über diesen Tag reden.

An was dachten Sie, als Sie sich nach dem Titelgewinn allein in die Katakomben der Halle zurückzogen?
Neben der Geburt meiner Söhne zählte dieser Titel sicher zu den schönsten Momenten meines Lebens. Da mir bewusst war, dass ich als erfahrener Mittelspieler im Rückraum den «Karren» ziehen musste, fiel ein riesiger Druck von meinen Schultern. Ich wollte mich deshalb nicht gleich ins Getümmel stürzen und von allen Seiten auf die Schultern klopfen lassen, sondern brauchte Zeit, um meine Gedanken zu ordnen und zu realisieren, dass wir unser Ziel diesmal tatsächlich erreicht hatten.

«Ich bin jemand, der gerne den Takt angibt, solange er noch stehen kann.»

Nachher haben Sie aber noch richtig gefeiert?
Ja klar, das ist eine sehr feuchtfröhliche Nacht geworden. Ich bin jemand, der gerne den Takt angibt, solange er noch stehen kann …

Manche Fussballer reissen sich nach einem Tor das Trikot vom Leib. Wenn schon, müssten Sie dies mit Ihren Hosen und Ihren Socken tun.
Warum?

Es wäre gute Werbung für die Unterhosen- und Socken-Linie, die Sie mit zwei Handball-Kollegen gegründet haben.
Stimmt, müsste ich mir vielleicht überlegen … Aber ich habe zu dünne Beine. Ohne Hose will die vermutlich keiner sehen! (Lacht) Glücklicherweise verkaufen sich die Sachen trotzdem gut.

Wie kamen Sie auf die Idee?
Nati-Kollege Marko Vukelic, der damalige Löwen-Kapitän Uwe Gensheimer und ich haben 2012 die Firma «uandwoo» (Uwe/Andy/Wooky) für den Online-Vertrieb von coolen Textilien als spannende Nebenbeschäftigung gegründet. Und weil wir gerne Sachen tragen, die nicht 0815 sind. Wir haben dafür selbst Kontakt zu Designern und Produzenten aufgenommen.

In Deutschland werden Sie als absoluter Handball-Superstar gefeiert, in der Heimat hingegen kennt sie kaum jemand. Wurmt Sie das?
Wurmen ist das falsche Wort, es ist ungewohnt, dass ich mich total frei bewegen kann. Höchstens in Luzern, wo ich aufgewachsen bin, fragt man mich mal um ein Autogramm oder ein Selfie.

Wie verbringen Sie denn Ihre Freizeit?
Das hat sich verändert, da wir nun Söhne im Alter von 6 Monaten und 4 Jahren haben. Wir sind mit ihnen viel in der Natur, gehen mit dem Hund spazieren. Zu mehr bleibt kaum Zeit, da die Reisen zu Bundesliga- und Champions-League-Spielen viel länger dauern als in der NLA.

In welchem Alter sind Sie dem Handball-Virus verfallen?
Mit sechs Jahren begann ich bei Borba Luzern zu trainieren und durchlief alle Juniorenstufen. Ich spielte auch kurz Fussball, aber nur, bis es einmal einen ganzen Match wie aus Kübeln goss! (Lacht)

Gab es in Ihrer Karriere auch mal einen Moment, in dem Sie ans Aufhören dachten?
Nicht eine Sekunde! Es mag kitschig klingen, aber ich bin mit 33 von diesem Sport immer noch so fasziniert wie eh und je. Wenn im Fernsehen irgendwo ein Match läuft, schaue ich ihn. Zwar ist Handball längst zu meinem Beruf geworden, doch tief drinnen ist er immer noch mein Hobby. Vielleicht auch, weil die meisten Freunde aus diesem Umfeld stammen.

Ihre Ehefrau kommt aus Norwegen, einem Land mit grosser Handball-Tradition. Ist sie diesem Sport ebenso verfallen wie Sie?
Nein, Therese ist Fussballerin! Sie spielte in Norwegens höchster Liga. Wir haben uns vor neun Jahren verliebt, als ich dort in den Ferien einen Handball-Kollegen besuchte.

Sie haben Ihren Vertrag gerade bis 2020 verlängert. Schlagen Sie hier Wurzeln?
Nein, Deutschland ist aktuell unsere Heimat, aber wir werden sicher einmal in die Innerschweiz zurückgehen. Ich habe dort viele Verwandte und Freunde und meine Frau liebt die Landschaft, die sie an Norwegen erinnert.

Was vermissen Sie bis dahin?
Die Lozärner Fasnacht, Rivella rot und Schweizer Raclettekäse. Mit der französischen Version kann ich mich nicht anfreunden …

Wie sieht Ihre Zukunft aus?
Wenn es die Gesundheit erlaubt, würde ich zum Abschluss gerne nochmals in der Schweiz spielen und danach ausprobieren, ob ich das Zeug zum Trainer habe. Das Diplom habe ich in Magglingen bereits gemacht. Wenns klappt, wärs toll. Dann könnte ich meiner grossen Leidenschaft treu bleiben – schliesslich ist Handball das, was ich am besten kann.

Quelle: Coopzeitung Nr. 43 vom 25.10.2016

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